Vertrauenskompetenz als Ressource für Veränderung in Zeiten von Agilität und Digitalisierung (Teil 1)
Ergebnisse der Praxisforschung zu Vertrauen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [1]
Diese Artikelreihe beschreibt die Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt zum Vertrauens- und Kompetenzmanagement in der Managementpraxis. Disruptive Veränderungen im Umfeld der Digitalisierung erfordern radikale und vor allem fortwährende Entwicklungsprozesse – nicht nur in Wirtschaftsunternehmen.
Die Veränderungsprozesse der letzten 30 Jahre zeigen jedoch, dass die sozialpsychologischen Voraussetzungen für erfolgreiche Veränderungsprozesse häufig nicht gegeben sind. Vertrauen erweist sich als ein Schlüsselfaktor des Change-Managements – dies gilt umso mehr, wenn die Digitalisierung von Geschäftsmodellen und Prozessen grundlegende Veränderungen in den Arbeitsstrukturen erfordern.
Es wird herausgearbeitet, wie Vertrauenspotentiale erschlossen werden können. Dies gilt für das interpersonale Vertrauen zwischen den Organisationsmitgliedern, noch mehr aber für das Vertrauen in die Organisation. Vertrauenskompetenz, die Fähigkeit einer Organisation eine stabile Vertrauenskultur aufzubauen, wird zum bedeutenden Wettbewerbsfaktor.
Teil 1: Change Management und Vertrauen
Ist Vertrauen eine Schlüsselkompetenz von Organisationen, um in unsicheren Zeiten im Wettbewerb zu überleben?
Die Ergebnisse von Forschungs- und Unternehmensprojekten des Instituts für Management und Organisation (IMO) GmbH seit 2009 legen nahe, dass die Fähigkeit, Vertrauen in einer Organisation zu initiieren und zu gestalten eine Schlüsselkompetenz für das Bewältigen von Veränderungsprozessen ist.[2]
Dieses Ergebnis ist umso interessanter in einer Zeit fortschreitender Digitalisierung, welcher der Ruf nachhängt, zu disruptiven Veränderungen in allen Bereichen von Unternehmen und Organisationen zu führen.
1. Problem-Befunde zum Change-Management
Beispielhaft wird aus einen Projekt der Innovationsforschung berichtet, dass die Ergebnisse von Veränderungen in 286 untersuchten Change-Prozessen bei 54 % der betroffenen Mitarbeiter keine Akzeptanz gefunden haben[3]. In der Folge verzeichneten 56 % der teilnehmenden Unternehmen dieser Studie eine verschlechterte Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen, begleitet von Fluktuation der Leistungsträger in 52 % der Fälle, und zwar selbst wenn diese Veränderungen nicht mit Personalabbau verbunden waren[4]. Offenbar wurde hier durch die Art und Weise der Veränderung ein Vertrauensvorschuss gegenüber dem Unternehmen aufgezehrt. Interessant auch, dass „das oberste Management bei der Beurteilung durch die Belegschaft … schlechter abschneidet als die Führungskräfte”.
Als vertrauensschädigend erweisen sich vor allem folgende Merkmale im Verhalten des Top-Managements: insbesondere wird der Widerspruch zwischen Worten und Taten gesehen, aber auch das Fehlen von Ansprechbarkeit, Zuverlässigkeit, Einhaltung von Zusagen sowie mangelnde Kompetenz. Die unmittelbaren Vorgesetzten schneiden dabei leicht besser ab, aber auch bei Ihnen zeigt sich ein deutlicher Widerspruch zwischen Worten und Taten. Darüber hinaus zeigen auch diese Führungskräfte Anzeichen „vitaler Erschöpfung”[5] – sie haben ihre Ressourcen zur Stressbewältigung in der Vermittlung nicht-vermittelbaren Geschehens an die Mitarbeiter aufgezehrt.
Neben den genannten (fehlenden) vertrauensförderlichen Eigenschaften werden auch handwerkliche Mängel des Top-Managements genannt: fehlende Reife und Schlüssigkeit des Konzeptes, unzureichend durchdachte Umsetzungsschritte und für die Mitarbeitenden nicht nachvollziehbare Ziele[6].
2. Wozu über Vertrauen nachdenken?
Das Konzept Vertrauen beschreibt die positive Erwartung, dass das Gegenüber – der Vertrauensempfänger – sich wohlwollend verhält und seinen Nutzen nicht zu Lasten des Vertrauensgebers sucht.
Vertrauen reduziert damit nicht nur Komplexität und Transaktionskosten in Organisationen, sondern erhält auch die Selbstmotivation des Mitarbeiters[8]. Vor allem aber ermöglicht gegenseitiges Vertrauen die Selbststeuerung und Selbstkoordinierung. Vertrauen ist eine unumgängliche Voraussetzung des Funktionierens flacher, wissensbasierter Organisationen. Es spricht einiges dafür, dass digitale Geschäftsmodelle und digitalisierte Prozesse ebenfalls auf diesen Formaten von Organisation, Management und Führung aufbauen.
Die Forschung darüber, wie Vertrauen zustande kommt, bezieht sich in der Regel auf „Interpersonales Vertrauen”, solches, das sich zwischen zwei Personen entwickelt, die sich regelmäßig begegnen. Die in unterschiedlichen Settings immer wieder bestätigten vertrauensförderlichen Faktoren sind Integrität, Wohlwollen und Kompetenz.
In einer eigenen Studie (CCM²) im Rahmen eines Forschungsprojektes der Ruhr-Universität Bochum[9] wurden acht Faktoren bestätigt, welche in unterschiedlichen Zusammenhängen die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von Vertrauen fördern – sowohl auf der Ebene des „Interpersonalen Vertrauens”, wie auch auf der Ebene „Organisationsvertrauen”[10]. Letzteres fragt danach, wie das Unternehmen, die Organisation als Ganzes bzw. ihre Repräsentanten gegenüber den Mitarbeitern (mit und ohne Führungsfunktionen) als vertrauenswürdig in Erscheinung treten. Nur auf einer solchen Grundlage können Veränderungsprozesse erfolgreich durchgeführt werden.
Die im Rahmen der CCM²-Studie ermittelten vertrauensförderlichen Faktoren (ergänzt um Ergebnisse nachfolgender Projekte) lassen sich unter drei Aspekten darstellen[11]:
Diese Kriterien werden seit 2013 von IMO in Projekten zu Themen der Vertrauenskultur zu Grunde gelegt und weiterentwickelt. Aus ihnen wurde das IMO-Vertrauensinventar© entwickelt.
Während die Ausprägungsformen dieser Kategorien als individuelle Eigenschaften bzw. Verhaltensmuster gut erschließbar sind, scheint die Operationalisierung auf der Organisationsebene schwieriger.
Wir operationalisieren Sympathie gegenüber der Organisation darüber, wie Gemeinschaft ermöglicht und das Gefühl von Zugehörigkeit gefördert wird. Wohlwollen zeigt sich in einer Human Resource Politik, die die persönlichen Belange des Mitarbeiters respektiert und Wertschätzung zollt.
Wir gehen nach aller Erfahrung mit Unternehmen und ihren Kulturen davon aus, dass interpersonales Vertrauen unternehmensweit nicht gefördert werden kann, wenn es nicht bereits in grundlegenden Strukturen und Handlungen der Organisation verankert ist[17], wie z.B. in den Instrumenten des Human Resource Managements. Vertrauen ist nicht durch den isolierten Einsatz einzelner Interventionen zu entwickeln, wie es der „Rezeptansatz” suggeriert[18]. Der entscheidende Beitrag der organisationalen Grundlegung von Vertrauen besteht darin, die Wahrscheinlichkeit für vertrauensschädliches Verhalten, für Verunsicherung und „opportunistisches” Verhalten, z.B. Machtmissbrauch, zu reduzieren.
Wir haben ein Vertrauensinventar© entwickelt, das Unternehmen befähigt, die eigene Vertrauenskompetenz und die daraus entstehende Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen. Vertrauen oder ein vertrauensförderliches Klima ist kein Asset, kein materielles Betriebsmittel, das einmal existiert und dauerhaft genutzt werden kann; es muss immer wieder (neu) geschaffen, bestätigt und stabilisiert werden, sowie an sich ändernde Verhältnisse und Anforderungen angepasst werden, um nicht zu erodieren.
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Harri Fechtner ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Management und Organisation (IMO) GmbH, Bochum
Kontakt:
+49 234 97112-0
harri.fechtner@imo-bochum.de
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